Großes Familientreffen, bei dem man auch die Puppen tanzen ließ

Drei erlebnisreiche Tage beim 25. nd-Reisetreff in Plzeň vergingen viel zu schnell

von Heidi Diehl

 

 

Für die meisten der fast 100 nd-Leserinnen und -Leser klingelte am 10. November der Wecker extrem früh. Es war noch stockfinster, als die Busse am Berliner Ostbahnhof in Richtung Pilsen zum 25. nd-Reisetreff losfuhren. Nach zahlreichen Zwischenstopps, um weitere Gäste aufzunehmen, war nach rund zehnstündiger Fahrt das Ziel erreicht. Viel Zeit blieb nicht, sich im modernen »Marriott«-Hotel im Zentrum der Stadt einzurichten, und viel Zeit wollten die Reiselustigen auch gar nicht haben. Denn groß war die Vorfreude auf ein Wiedersehen mit Bekannten und Freunden.

 

Die Müdigkeit schien dann auch ganz schnell wie weggeblasen. Man hatte sich ja so viel zu erzählen. Das hatten auch Klaus Mewes von der BTO-Geschäftsführung und nd-Urgestein und Mitorganisator der alljährlichen Tour, Rainer Genge, die nach dem Abendessen zu einem Bummel durch die Historie des nd-Reisetreffs einluden und Geschichten und Anekdoten aus den vergangenen 25 Jahren erzählten. Die Idee zu dem inzwischen alljährlichen Leserreisenhöhepunkt

hatte die unvergessene »Reisefee« Uschi Pätzel, die viele Jahre lang die Abteilung nd-Leserreisen mit viel Herz leitete und gemeinsam mit dem Reiseveranstalter BTO 1998 die erste Tour nach Spindleruv Mlyn im Riesengebirge organisierte, an dem mehr als 300 Leserinnen und Leser teilnahmen. Ein Jahr später ging es mit einem Sonderzug der Deutschen Bahn nach Prag. Das erste Treffen war so gut angekommen, dass es nun schon mehr als 550 Mitreisende dabei sein wollten. Eine Teilnehmerzahl, die sich über viele Jahre konstant hielt. Wenn es inzwischen auch nur noch rund 100 sind beim alljährlichen nd-Reisetreff, eines hat sich nicht geändert: Es ist wie ein großes Familientreffen, auf das sich alle das ganze Jahr freuen und für das im Hintergrund zahlreiche gute Geister »wirbeln«, damit alles perfekt ist.

 

Um Erinnerungen ging es auch, als es hieß: »Amiga – Zeit, die nie vergeht« oder »der Sound des Ostens – Songs, Künstler und ihre Geschichten«. Es waren vor allem die Lieder aus der Jugendzeit der Gäste, die das »Weißt-du-noch« an eine Zeit wachriefen, in der das ganze Leben noch vor einem lag. Trotz des langen Anreisetages saßen viele der Gäste am ersten Abend noch lange zusammen, erzählten, lachten, tauschten Erinnerungen aus – und einige lockerten ihre vom langen Sitzen im Bus steif gewordenen Glieder sogar auf der Tanzfläche auf. Es war spät, als die Lichter im Saal und in den Zimmern endlich verloschen.

 

Am nächsten Vormittag galt es erst einmal die Stadt zu erkunden, deren schönes historisches Zentrum nur wenige Schritte vom Hotel entfernt liegt. Die Gäste bestaunten die zahlreichen prachtvollen Bürgerhäuser, bummelten durch geschichtsträchtige Gassen, bewunderten die sanierte Große Synagoge, eine der wenigen in Europa, die die Nazi-Diktatur wie durch ein Wunder überlebte, und sie besuchten das Marionetten-Theater der Stadt, in dem es ein freudiges Wiedersehen mit zwei guten Bekannten gab: Spejbl und Hurvinek. Endlich konnte dort auch die ewige Frage von Hurvinek beantwortet werden: »Papi, was ist Liebe!« Nämlich: Liebe ist, wenn erwachsene Menschen wieder zum Kind werden, wenn sie beim Spielen Zeit und Raum vergessen. Und das taten viele tatsächlich an den zahlreichen Mitmachstationen: Sie ließen die Puppen tanzen, zauberten Hasen aus einem Zylinder, legten sich mit Drachen und Bösewichten an und strahlten dabei übers ganze Gesicht. Waren sie tagsüber noch Akteure der Vorstellung, so ließen sie sich am Abend gern im wunderschönen Jugendstil-Opernhaus der Stadt mit auf eine musikalische Reise durch das Geheimnis eines langen Lebens nehmen.

 

Die Sonne weckte die Gäste am dritten Tag, als hätte sie gewusst, dass es darauf ankommt, die Stadt in ein schönes Licht zu tauchen. Vor allem für die Gruppe, die sich für einen Ausflug zu Fuß auf den Spuren der Befreiung der Stadt vom Faschismus durch die amerikanische Armee entschieden hatte. An vielen Plätzen in Plzeň wird daran erinnert, und im Patton Memorial, dem einzigen Museum Tschechiens, das den Weg nachzeichnet, den die alliierten Truppen von der Landung in der Normandie bis nach Westböhmen genommen haben, erfuhren die Besucher anhand vieler Zeitdokumente und Exponate von den ereignisreichen Tagen im Frühjahr 1945.

 

Die andere Gruppe begab sich derweil auf die Spuren der Bierlegende Pilsner Urquell. In den historischen Kellern der Brauerei erfuhren die Besucher viel über Geschichte und Gegenwart des wohl bekanntesten Exportartikels der Stadt, und natürlich verließen sie die Katakomben nicht, ohne das Bier verkostet zu haben.

Erst am Nachmittag trafen sich alle wieder im Hotel, wo, wie seit 25 Jahren schon, ihre Zeitung mit interessanten Angeboten aufwartete: Leserreisenchef Frank Diekert stand mit Rat und Tat bei allen Fragen rund um das Reiseangebot des kommenden Jahres zur Verfügung, Bücher, CDs und viele Soli-Produkte aus dem nd-Shop konnten erworben werden, Landolf Scherzer lud zu einer Lesung seines neuesten Buches »Leben im Schatten der Stürme – Erkundungen auf der Krim« ein und Wolfgang Hübner, Mitglied der nd-Redaktionsleitung, diskutierte mit den Gästen über ihre Zeitung und deren Perspektive.

 

Noch einmal kurz frisch gemacht und in Schale geworfen, trafen sich später alle wieder im Festsaal zum großen traditionellen Abschlussabend mit Tombola. Zehn Fragen galt es vorher richtig zu beantworten, wenn man Aussicht auf einen der begehrten Preise haben wollte. Wer an den beiden vorangegangenen Tagen mit offenen Augen und Ohren durch Plzeň gegangen war, hatte gute Chancen, zu den Glücklichen zu zählen. Ute Henkelmann, die an diesem Tag ihren Geburtstag in großer Runde feiern durfte, spielte Glücksfee und freute sich sichtlich mit den Gewinnern über deren Preise.

 

Bevor beim großen Finale des 25. nd-Reisetreffs die Gäste die Tanzfläche übernahmen, hob sich der symbolische Vorhang zunächst für den Lyriker Reijoh B., der Gedichte und mehr unter dem Motto »… und pflanzen lachend Brot für alle« vortrug, um dann die Bühne für die Kabarettistin Gisela Oechelhaeuser freizugeben. Sie las zunächst aus ihrem Buch »Hiergeblieben! – Leben in Geschichten« um dann zur bekannten »Rampensau« zu werden. Da blieb kein Auge trocken. Mit

sprühendem Witz und hinterlistigem Humor nahm sie die Gesellschaft aufs Korn. »Die könnte jedes Jahr wiederkommen«, waren sich am Ende viele einig.

 

Die Tage vergingen wie im Fluge, schon hieß es wieder Abschied nehmen bis zum nächsten Jahr. Doch anders als gewohnt weiß diesmal noch niemand, wo man sich 2024 wiedersieht. Erstmals trugen die Gäste zahlreiche Wunschorte zusammen und stimmten über ihre Top-Favoriten ab. Das Rennen machten Usedom, Chemnitz und Naumburg. In wenigen Monaten werden alle wissen, wohin es zum 26. nd-Reisetreff geht.